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Gemeinsam, einsam durch die Krise

„Ätschi Bätschi, ich weiß es schon.“, antworte ich meiner Frau, als sie mich fragt, ob ich denn schon weiß, dass an diesem Freitag, den 13. März für die nächsten Wochen die Schulen geschlossen werden. Diese Nachricht macht alle anwesenden Kollegen, im speziellen die Damen in meinem Arbeitsumfeld etwas kirre. Zwischen all den fragenden und hoffnungsvollen Blicken traut sich mein etwas scheuer Kollege aus seiner mit Desinfektionsmittel gefüllten Badewanne, hinaus in den Mikrokosmos unseres Flures, zu einem potentiellen Meet and Greet mit der Seuche. Auf seinem hastigen Weg zum Einzelhändler unterrichtet er mich darüber, Strohrum 80 kaufen zu wollen, da das spritzige Gesöff aus der Wisch-Wasch-Wasser-Anlage nicht seine Qualitätsansprüche an ein gutes Desinfektionsmittel erfüllt. Weg ist der eine, da kommt schon der nächste Kandidat mit der innovativen Idee, einen LKW voll mit Listerine Mundwasser zu ordern für … da höre ich schon nicht mehr zu.

Bild: Kreislauf der Krise: Nudeln im Klopapierregal

 

Als Chefstratege in der Lebensmittelakquise obliegt es mir für die Familie den passenden Zeitpunkt für den Einkauf zu planen. Ausgebufft wie ich bin, rolle ich am Samstag kurz nach Ladenöffnung auf den Parkplatz einer Filiale der Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler. Kurz nachdem ich den Laden betreten habe, stelle ich fest … „Man bin ich doof!“ Alle schon da, und dazu noch mit verstärkter Aufstellung. Einkauf ist seit Beginn der Krise nun Teamsport. Einer checkt die widerspenstigen Omas mit Ellenbogeneinsatz vom Nudelregal weg, unterdessen der oder die Helfer den Fluchtwagen bewachen vor habgierigen Klopapierfetischisten. In einem der leergeräumten Gänge verwerfe ich einen Teil meiner Einkaufsliste. So kaputt kann ich gar nicht sein, dass ich hier mitmachen möchte.

 

In der Isolation bereitet meine Frau unseren Sohn darauf vor, dass er während der Schulstunden am heimischen Esstisch sie mit Frau Rosenkavalier anzureden hat. Wie kann ich da mithalten? Dem Anlass angemessen, werde ich mir in meinen Hobby-Unterricht ein Wildledersakko über den Schlafanzug streifen und nach der Stunde im provisorischen Lehrerzimmer bei Alkohol und Zigaretten den nächsten Ferien entgegenfiebern.

 

Auch der Radsport schafft es nicht sich der Krise zu entziehen. Einem Freund, der noch aktiv Rennen fährt, merke ich im Gespräch an, dass sein Motivationsfaden gerissen ist, wie eine Kette am Start zum Rennen. Wiederrum ein anderer Kumpel, ebenso im Rennfahrerruhestand wie ich, beschreibt die Situation mit dem Wort eines „großen deutschen Philosophen“ – EGAL!

 

Aber ich vermisse doch Jean Claude mit seinem Schweizer Akzent, die Ronde mit der Kapelmuur, Paddestraat in Flandern, den Poggio thronend über San Remo, das fünf Sterne Premium Pavee-Stück Carrefour de l´Arbre, MVDP und auch Karsten Migels, der neulich noch sinngemäß sagte: „Fußball ist ein Spiel und Radrennen sind Sport.“ Wann geht es endlich wieder los?

 

Ein Bekannter berichtet aus seinem beruflichen Umfeld, dass sein Arbeitgeber diverse Modelle zur Ausübung der Arbeitsleistung hinter schicken Umschreibungen verpackt. Alle Kollegen mit Laptop dürfen klassisch ins Home-Office. Alle Kollegen ohne mobile EDV dürfen ebenfalls ins Home-Office. Sie müssen nur was zum Lesen mitnehmen und die restlichen 7,5h Arbeitszeit beim Blick aus dem privaten Fenster engagiert an ihren Arbeitgeber denken.

 

In meinem Job sind wir jeden Tag voll am Limit. Da fällt auch nur den wenigsten auf, dass sich aufgrund der strikten Haarschneiderestriktionen die Haarpracht bei den männlichen Kollegen auf einem Niveau zwischen Hair-Metal der 80 Jahre und der Kelly Family der späten 90er einpendelt.

 

Zurück zur Labestation der Mangelwirtschaft, in den Supermarkt. Ich gehe nun zur Tagesschau-Zeit einkaufen, nur um festzustellen, dass Bananen wie schon in der DDR nicht zwangsläufig verfügbar sind. Da wo früher Milch auf Paletten angeboten wurde, könnte man nun auch zwei bis drei Milchkühe unterbringen. Ein satter Griff ins Mehlregal fällt aus wegen, iss nich. Als Alternative erwägen wir auf Kokain* als Mehlersatz umzusteigen. Doch das Preis-Leistungsverhältnis in dem der Kuchen stehen würde, ist nicht zu rechtfertigen. Klopapier, wie könnte es anders sein, ist aus. Ein Spaßvogel hat eine Packung Nudeln ins Regal gelegt, wo sonst das Wertpapier angeboten wird. Der Kreislauf des Lebens! Meine Empfehlung an dieser Stelle ist ein Klappspaten für die ruhigen Momente im Wald mit der eigenen Verdauung, ergänzt durch ein gutes Buch zur richtigen technischen Ausführung.

 

Wer nicht mehr besinnungslos durch die Fußgängerzone streunen kann, findet seine Ersatzdroge nun im Baumarkt. Jeden Tag tummeln sich dort Menschen im Wettstreit um eine Eintrittskarte in Form eines Einkaufswagens für die Verlockungen des Machs-dir-selbst Schrauben- und Fliesen-Tempels. Eine Trockenbauwand ersetzt schnell das H&M Frühlingskleid und das Betonwerksteinpflaster für die Einfahrt den 300 Zoll Fernseher. Ein Schiffsschaukelbremser wollte sein Kurzarbeitergeld mit dem Kasseninhalt im Hornbach aufbessern, doch mit seiner Schreckschusswaffe wusste er nicht so recht zu überzeugen. Die Polizei konnte ihn wenig später mit einer Salve Fusilli niederstrecken.

 

Auf dem Rad ergeben sich regelmäßig bizzare Situationen. Zwei Personen auf ihren E-Bikes mit Mundschutz, aber ohne Helm irrlichtern über den Radweg. Guerilla-Haare schneiden auf einer abgelegenen Parkbank fällt mir bei der Ausübung meiner Zweiraderlebnisse ins Auge. Der natürliche Feind des Radfahrers, das Auto nimmt nach Wochen des Stillstands allmählich wieder Tuchfüllung auf und überholt mit deutlicher Unterschreitung des Husten- und Spuckabstandes von 1,50m.

 

Zu Hause hat sich das „Gemeinsam sind wir Einsam Gefühl“ so langsam durchgesetzt. Nur ein Nachbar störte unsere Isolationsruhe auf dem Balkon durch lustvolles Stöhnen durch sein halb geöffnetes Fenster. Schön das Tinder noch funktioniert, so können in Zeiten von Social-Distancing noch Körperflüssigkeiten wenigstens noch ausgetauscht werden.

 

So füllen wir mit dem Thema Koitus@Covid19 die nächste Sachkunde-Unterrichtseinheit mit Biologieanteil im Homeschooling. Was ist wenn die Schulen nie wieder öffnen und unser Sohn in ein paar Jahren zwischen Abwasch und Bügelwäsche das Home-Abitur ablegen muss? Wir werden vorbereitet sein. So fahren wir fort im Fach Geografie mit einem Anteil Sozialkunde: Wenn Amerikaner in der Krise ihr Geld in Medikamente und Schusswaffen investieren und Franzosen sich an Wein und Kondomen begeistern können, warum sorgen sich die Deutschen dann um einen sauberen Po nach all den Nudelgerichten? Bei philosophischen Fragestellungen vertrauen wir auf die Spezialisten, indem wir einen Lehrfilm der heute-Show zu rate ziehen, bevor wir uns dem Thema in der zweiten Klasse erneut widmen werden.

 

Das war es fürs Erste. Ich tapezier jetzt mein WC mit Klopapier statt Geld, denn so ein bisschen schöner Wohnen ist gerade das Einzige was zählt.*

 

*Vielen Dank an die heute-Show und „die Ärzte“ für die Ideen.

 

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