· 

Orbit360 Rummelplatz für Langstreckenliebhaber

„Nächste“ in 86m mit Pfeil nach rechts. „Nächste“ in 117m diesmal zeigt der Pfeil nach links. Immer wieder „Nächste“,  unterwegs im Nirgendwo. Es fühlt sich an, als wäre ich Bear Grylls*, gerade mit Fallschirm aus dem Flugzeug gesprungen und im Dschungel Südost-Asiens gelandet ohne jede Orientierung. Mein Ziel ist es nicht eine Siedlung zu finden oder die nächste Person zu treffen, die mir einen Ausweg aufzeigt. Nein, mein Standort befindet sich im Hunsrück, der Weg ist schräg, meine Beine wehren sich nur mühsam gegen die Steigung und der Wahoo schickt mich monothematisch mit „Nächste“ irgendwo lang. Meine Lust und Laune sind gerade ausbaufähig, ich fahre Orbit360.

Ist es nicht schön, wenn man Freunde hat, die die Meinung vertreten, lange Radfahrten würden meinen Sommer 2020 erst die richtige Würze geben. Falk, ein Freund schickt mir am 12. Juni eine Mail mit einem Link, es folgt ein Telefongespräch zum Thema Orbit360. Gravelrennserie, 16 Strecken, Selbstversorgermodus, Austragung von Juli bis September, reichlich Kilometer, üppig Höhenmeter. Er schickt noch ein Screen-Shot vom Kurs im Saarland. Warum sollte mich das nochmal interessieren? Aufgrund fehlender Rennen durch die Pandemie und als Vorbereitung auf Langstrecken Events wie das Trans Continental oder das Atlas Mountain Race haben Raphael Richter und Bengt Stiller diese Rennserie für Menschen mit besonderen Vorlieben aus dem Boden gestampft. Will ich so etwas wirklich? Wie vermittle ich diese eigentümliche Idee zu Hause? Alles Hadern bringt doch nix, meine innere Abwehrhaltung kann ich nicht lange aufrechterhalten, meine Gedanken drehen sich von nun an auf einer Gravel-Umlaufbahn um meinen Kopf. Ich mache mit.

Das Telefon ist noch warm, da schwirrt mir noch diese Aussage von Falk durch mein Oberstübchen: „Diese Form von Rennen wird die Mtb-Marathons auf lange Sicht ersetzen!“ Wirklich, meint er das ernst? Diese Aussage wird mich den ganzen Orbit-Sommer hinweg begleiten.

 

 

Es geht wieder um alles

Meine letzte Ausfahrt vor dem ersten Orbitstart nenne ich bei Strava „Orbit RLP Vorbelastung für Samstag“. Es dauert nicht lange, da werde ich gefragt: „Vorbelastung?! Das klingt ernst!“. Also erkläre ich, was ich so vorhabe.

Jedes Bundesland hält einen Orbit für seine Besucher parat. Auf der Homepage der Veranstalter schaue ich mir die Wunschrunde an und betätige im Anschluss den dazugehörigen Download Button. Will ich Rennen fahren? Ja! So melde ich mich beim Veranstalter an, in Kombination mit einer einmaligen 25€ Finanzspritze für die ganze Serie. Wäre ich schneller gewesen, hätte ich mir für 15€ mehr ein Starterpaket gesichert. Der Konjunktiv beweist, schnell geht anders. Dann noch etwas Planung und schon klingelt der Wecker am Renntag. Welcher Tag von 04. Juli bis 05. September, oder welche Uhrzeit, ist völlig Wumpe. So Wumpe wie der Startort. So lange die Strecke im Uhrzeigersinn befahren wird, ist der Startort jedem freigestellt. Hauptsache du fährst allein und ohne Unterstützung von außen. Sollten Zufälle, Glück, in Ergänzung durch eine erfolgreiche Navigation auf ein Datum fallen, so ist der Orbit geschafft. Das Hochladen auf Komoot benötigt keine besonderen Talente. Dann noch auf Komoot teilen mit Orbit360, und fertig. Halt, kein Ergebnis ohne die Qualitätskontrolle der Orbit-Crew auf Einhaltung der Regeln. Dann ist es geschafft, alles schick. Dreihundert Punkte für den erfolgreichen Orbit. Für den Fall, dass meine Zeit zu den schnellsten Zehn gehört, gibt es Zusatzpunkte. Drei absolvierte Runden bringen 1000 Punkte als Bonus. Sie oder er mit dem dicksten Punktekonto gewinnt die Serie.

Natürlich ist meine Strava-Erklärung kürzer, und ich schließe mit: „Es geht wie immer um alles!“, wir fahren ja schließlich Rennen.

 

 

Wo lang?

Ab Mitte Juni wird jeden Tag ein Orbit veröffentlicht. Nach 16 Tagen breitet sich die ganze Herrlichkeit am Orbit-Buffet vor meinen Augen aus. Mehr als 300km rund um Bremen bilden den Klassenprimus in Sachen Distanz. Steile > 4000 Höhenmeter in Rheinland Pfalz führen die Hitliste bei den Kletterpartien an. Ein Hauch Hochgebirge in Bayern, Sandpisten rund um Berlin (so hört man) und mehr Richtungswechsel als die Stadt Einwohner hat,  vervollständigen das Bild beim Hamburger Orbit.

Die Inselumrundung von Rügen (Orbit Meck Pomm) wäre landschaftlich bestimmt ein Genuss, über den heimatlichen Orbit in Thüringen zu fliegen, hätte auch seinen Reiz. Aufgrund von logistischen Beweggründen kommen schlussendlich drei Orbits mit der räumlichen Nähe zu meinem Wohnort in Trier in Frage. Rheinland Pfalz, NRW und dazu noch das exotische Saarland, hier waren nach zwei Monaten nur 12 Finisseure in der Wertung.

Im Laufe der Austragung verfolge ich die Berichte wonach einige Teilnehmer im Rhythmus von englischen Wochen mehrere Orbits in kurzen Abständen überwinden konnten. Meine ganz eigene Kategorie heißt alte Herren, da darf ich länger ruhen zwischen den Orbits.

 

 

Ich packe meinen Koffer und nehme mit:

Zu Beginn deutlich zu viel. Graveln heißt nicht zwangsläufig Bikepacking! Für meinen ersten Orbit packe ich das Ortlieb-Raumwunder für die Sattelstütze mit allem was die Phantasie für mich parat hat. Dazu noch einen Trinkrucksack, zwei Flaschen ans Rad, nur die Sonnencreme vergesse ich. Den Inhalt der Tasche werde ich während des Orbit RLP nicht ein einziges Mal in Augenschein nehmen. Warum hat mir das vorher niemand gesagt?

Es folgen zwei Orbits nur mit Trinkrucksack zusätzlich gefüllt mit Nahrung und Werkzeug, Schläuchen am Rahmen, die nötigsten Klamotten am Körper und der Banane am Lenker. Aus Fehlern gelernt!

Beim Rad orientiere ich mich an der Grundintension der Serie: Graveln. Somit lasse ich das MTB links stehen im Radkeller und greife stattdessen genussvoll zum Schotterpistenrad. Nicolai Argon CX mit der 1x11 GRX Gruppe von Shimano. Die Räder eine haltbare Komposition aus DT-Swiss Komponenten mit Panaracer Gravel Kings in 700x38C.

 

 

Was kostet die Welt

Euphorisch starte ich mit dem Orbit Rhineland Palatinate in Koblenz Mitte Juli. Damit ist es schnell vorbei, als ich in Vallendar kurz hinter Koblenz fluchend um einen Altglascontainer herum den richtigen Weg versuche zu finden. Nicht das letzte Mal an diesem Tag, dass mir das vorauseilende Interpretationsgeschick für den Wahoo abhandenkommt. Weiter geht’s. Auf einem Bogen bis zur Lahn stochere ich durch den Westerwald auf vielen angenehmen Wegen, die mich immer wieder ein Blick über die Landschaft erhaschen lassen. Dann gibt es da noch diese zahlreichen schmalen Trails rechts und links der Route die meine Neugier anfachen, doch das Vorderrad nicht zum Einlenken bewegen können. Von Nassau aus schlängelt sich ein Weg, ein schmaler Pfad und irgendwann mehr ein Steig dem Gipfel entgegen, der Erinnerungen an Salzkammergut Trophy und Cristalp wieder hervorkramt. Denn gleich nach meinem Deo versagt auch  die Kraft für diesen Streckenabschnitt, ich muss mein Rad schieben.

Durch das Lahntal überbrücke ich den Abschnitt bis zum Einstieg in den Taunus. Die Option als  E-Bikeschattenfahrer den Schnitt am Fluss entlang zu heben, verwerfe ich nach kurzer Zeit. Selbst mit voller Batterie haben die Jungs und Mädels auf ihren tollkühnen Kisten nur Luft in den Beinen. Ich muss weiter.

Lang und steil sind die Berge im Taunus, so zumindest diktiert es mir meine Erinnerung. Jetzt erklärt sich auch das Mountainbike mit dem kleinen Kettenblatt, das den Scout dieser Strecke auf der Veranstaltungshomepage zeigt. Hin und wieder kommen die Wege auch recht technisch daher. So strengt mich die Essensaufnahme in einem recht hubbeligen Singletrail bergauf an. Bis der Clif-Bar eine nahrhafte Symbiose mit der Magensäure eingehen kann, vergehen dann doch ca. 10min auf diesem erlesenen Naturpfad. Kurz vor der Halbzeit des Orbits in einem Lokal, biete ich Geld im Tausch gegen Wasser und eine frisch gezapfte Cola an. Die Dame ruft 12€ auf, und das nicht als Verhandlungsbasis. Adieu liebes Taschengeld, es war schön mit dir. Rheinfähre heißt mein nächstes Ziel. An zwei, drei Abbiegungen rausche ich gekonnt vorbei, bevor ich die Speicher des Telefon noch mit Naturimpressionen vom Rhein fülle.

Am Rhein angekommen schaue ich sehnsuchtsvoll der davon dampfenden Fähre hinterher. „Ka…, Ka…, ach so ein Scheiss.“ echauffiere ich mich im Stillen. Schlanke fünfundzwanzig Minuten später rollt mein Rad dann auf der gegenüberliegenden Rheinseite von der Fähre. Der Fährmann klärte mich noch auf, dass Supermärkte und Tankstellen in nördlicher Richtung zu finden sind. Ich fahre Richtung Unterzucker nach Süden. Einen kleinen versteckten Lebensmittelhändler finde ich dann doch in Bacharach, der meine Depots für den Abschnitt im Hunsrück füllt.

Zähflüssig würge ich mein Rad die steilen Hänge des Hunsrücks empor. Das gelbe Ding am Himmel grillt mich. Und dann ständig der Wahoo mit seinen Nächste, Nächste, Näc… „Ach du Ding kannst mich mal gern haben.“ mäandern meine Gedanken bis zur nächsten Kurve. Mein Wunsch nach einer schnellen Zeit wird von der Erschöpfung in den Hintergrund gedrängt. Die schnellen Wege in Richtung Emmelshausen sind ein Wohltat. Dann wird es wieder rumpelig bis, ja bis der letzte lange Aufstieg mir die Waden ausquetscht. Oben angekommen bin ich frei von Ambitionen, Willensäußerungen oder Wünschen. Es kann nur noch runtergehen, rede ich mir ein. Und so ist es dann irgendwann auch. Ich erreiche Koblenz, verfehle noch zwei Abzweige, fahre zur Sicherheit drei Kilometer über meinen Startpunkt hinaus, und fertig. Geschafft, Zeit spielt keine Rolle, schön!

 

 

Train Magic

Angekommen am Bahnhof in Koblenz, hier ging es in den Morgenstunden los. Maske auf und den Fahrplan gecheckt. Es ist noch etwas Zeit bis die Bahn fährt. Ein guter Grund die Pommes Braterei mit den zwei goldenen Bögen aufzusuchen. „Darf ich hier mit Rad überhaupt rein?“ „Nein!“, gibt mir eine freundliche Damenstimme zu verstehen. Runtergekommen wie ich aussehe, erkläre ich, dass ich mein Rad nicht vor Tür abstellen möchte, der Langfinger wegen. Sie bewacht mein Rad für den Moment meines Bestellvorgangs, dann bringt Sie mir mein Essen vor die Tür, wo ich warte. Danke. Erfahrene Orbiter erleben gern einmal „Trail Magic“, wenn ihnen unterwegs geholfen wird. Für mich gibt von nun an  „Train (Station) Magic“.

Als ich meinen geschundenen Körper in die Polster der Deutschen Bahn kuschele, realisiere ich erst, was an diesem Tag passiert ist und erschrecke mich ein wenig vor mir selbst. „Was habe ich mir da nur angetan?“, frage ich mich. Die Zahlen und Rahmenbedingungen, die den Orbit im Vorfeld charakterisierten, haben bei der Ausführung ihre volle Wirkung entfaltet. Trotz gewisser sportlichen Ausdauererfahrungen, bin ich erstaunt über meine Courage mich solchen Vorhaben zu stellen. Je näher der Zug Trier kommt, desto stärker spüre ich nun auch die Erleichterung und Freude darüber, dass mir meine Orbit-Premiere geglückt ist.

 

Strava Eintrag ORBIT360 RLP

 

Honk des Tages unterwegs auf dem Randgruppen-Orbit

Es ist noch dunkel, seit etwa 30min fahre ich schon in Richtung Hunsrück. In meinem Rücken breitet sich Trier mit seinen Lichtern aus und ich … ich stelle fest, dass ich etwas Entscheidendes vergessen habe. Minipumpe und Werkzeug haben am Vortag ihren Weg nicht vom Arbeitsrucksack in meine Orbitausrüstung gefunden. Was bin ich ein Idiot, ein Honk! Also Kehrtwende. Die ersten 300 Höhenmeter wieder runter, zurück durch die Stadt, nach Hause, die fehlende Ausrüstung einpacken und ab zum Bahnhof.

Völklingen, so lautet der klangvolle Name dieser exotischen Metropole im Saarland, wo mich die Bahn absetzen darf. Natürlich möchte ich wieder Bestzeit fahren. Zumindest in den ersten zwei Stunden entwickelt sich meine Geschwindigkeit in die richtige Richtung. Ganz unbemerkt kratze ich kurz die Grenze zu Frankreich, und nur wenig später richtet sich die Kompassnadel nach Norden aus. Von Süd nach Nord warten die meisten Höhenmeter des Orbits auf seine Besucher. Nur welche Besucher? Bis zum Ende der Orbit-Serie werden es nur 12 Teilnehmer*innen gewesen sein, die sich das kleinste Flächenbundesland der BRD vom Gravellenker aus angeschaut haben. Aber warum nur ist das Saarland so ein Randgruppen-Orbit, wenn im Vergleich dazu in Meck-Pomm 68 Orbiter*innen um die Insel flitzen? Eine Antwort finde ich am Renntag, wie auch nach dem Ende der Serie nicht.

 

 

Echt ne sehr heftige Runde!

Zurück zu den Verzückungen der zweirädrigen Fortbewegung. Es geht stramm nach Norden und die Hügel haben ihren Spaßcharakter verloren. Asphalt, Schotter, Trail und sogar Hosenträgerwege (rechts + links Asphalt oder Beton, in der Mitte Grünstreifen) hinterlassen Spuren bei den Kraftreserven. Der Scout war so nett und hat ein paar Sackgassen in die Schleife eingebaut, die ich auch alle fahre, nur um eventuellen Sanktionen durch die Rennjury zu entgehen.  Der Mammutanteil der angesetzten 4010 Höhenmeter kringelt sich im nördlichen Abschnitt des Bundeslands. Mit der Passage des Schaumbergs, erfahre ich meinen ersten Tiefpunkt des Tages. Das 40er Solo-Kettenblatt auf diesem losen, steilen Waldboden lässt mich innerlich fluchen. Den Ausblick am Gipfel über das Saarland spare ich mir, ich brauche Nahrung und Trinken. Theley bietet mir einen Supermarkt, der die Speicher wieder füllt. Dem Scout danke ich an dieser Stelle, da die Versorgungsoptionen am Wegesrand zahlreich verfügbar waren. Vom Supermarkt bis zum höchsten Punkt der Strecke nördlich von Neuhütten vergehen weitere zwei Stunden. Unterwegs verabschiedet sich mein Handyakku und die Gedanken an die Bestzeit sind auch nicht mehr auffindbar. In meiner unbeschreiblichen Naivität glaube ich an eine sanfte Rollerstrecke, ohne nennenswerte Steigungen zurück in südliche Richtung. Ja, nee is klar. Ich passiere Abentheuer (der Ort heißt wirklich so) und dass mein Tagesziel noch sechseinhalb Stunden entfernt von mir ist, weiß ich zu dem Zeitpunkt nicht. Ich schlage einen Haken nach dem anderen, dabei fahre ich immer im Wind und oder bergauf. Zweiter Tankstop am Bostalsee zu ähnlich intensiven Preisen wie im Taunus fünf Wochen zuvor. Der Nachmittag geht, der Vorabend beginnt. Parallel dazu überlege ich, ob es noch einen Zug zu später Stunde für mich nach Hause gibt?

 

 

Saarland und kein Ende

Nach zehn Stunden auf dem Rad, vermisse ich jede Form von Motivation. „An dieser Stelle auszusteigen und Saarländer zu werden, wäre eine Möglichkeit. Die Sprachbarriere ließe sich bestimmt auch nach ein bis zwei Jahren überwinden.“, so ärgern mich meine Gedanken. Diesen Orbit scheine ich deutlich unterschätzt und meine Fähigkeiten überschätzt zu haben. Nach 240 km fülle ich meine Flüssigkeitsvorräte ein letztes Mal an diesem Tag in einer Dorfkneipe auf. Von den Einheimischen darauf angesprochen wo ich denn herkomme und was ich den ganzen Tag so getrieben habe, ernte ich nur Gelächter. Ein Mann versucht mit seinem Trecker noch mein Rad anzufahren, dann bin ich auch schon wieder weg. Aus der Dämmerung schleicht sich der Tag in die komplette Dunkelheit hinein. Erste Hinweisschilder mit der Aufschrift „Völklingen“ geben mir Zuversicht. Zurück am Bahnhof in Völklingen hat der Feinschmeckertempel auch noch seine Pforten geöffnet. Mit Fritten und Cola am Gleisbett, blicke ich zufrieden auf meinen Tag im Saarland zurück.

Platz genommen im Zug, satt und zufrieden, was soll noch passieren? Fahrkartenkontrolle. Die junge Mitarbeiterin der DB kontrolliert mein Ticket, meine Bahncard und sieht mich, diesen abgehalfterten Typen in Radklamotten. Sie geht weiter und als sie nach 5min erneut an mir vorbeiläuft, hat sie mich gegoogelt. Sie gratuliert mir verbal, mit Gestik und Mimik (was die Maske halt so zulässt) zu längst vergangen Erfolgen meiner sportlichen Vita. Keine Ahnung, wer so etwas auch schon einmal erlebt hat? Ich fand es gut, Train Magic eben!

 

Strava Eintrag ORBIT360 Saarland

 

NRW – Der gnädige Orbit

Samstag der 5.September, am darauffolgenden Sonntag findet die Orbit360-Serie ihr Ende, also noch schnell durch den NRW Orbit huschen. Dieser Orbit kann nur gut werden. Weniger Höhenmeter als in RLP. Und mit 250km auch kürzer als der Randgruppenorbit im Saarland. Wie komm ich hin? Mit dem Rad hinfahren ist illusorisch, mit dem Auto fahren idiotisch. Mit der Bahn natürlich. Na, so natürlich ist das auch nicht, denn bis zu meinem Startort in Euskirchen benötigt die Regionalbahn schlanke 2,5 Stunden. So sitze ich trotzdem in der ersten Bahn, nur um nach einer halben Stunde die Schlafdefizite der Nacht etwas auszugleichen. Dummerweise trete ich auf das Mundstück meiner Trinkblase, die sich im Rucksack neben meinem Sitz befindet. Kurz Zeit später bin ich wieder wach mit einem See zu meinen Füßen. „Inkontinenz mit Ende 30? Hoffentlich nicht.“, denke ich mir. Allen noch folgenden Fahrgästen gegenüber mache ich auf unwissend.

In Euskirchen angekommen, trage ich noch fix für zwei ältere Menschen den Hackenporsche die Treppen runter und wieder hoch, bevor es endlich losgehen kann.

 

 

Die Eifel ist toll

Ab auf den Track, denn der beginnt nur unweit vom Bahnhof. Mit den Tücken des Wahoo habe ich mich arrangiert, so dass ich fast jeden Abzweig, wie einst Nostradamus, vorhersagen kann. Es läuft, auch wenn es noch etwas frisch ist. Will ich Bestzeit fahren? Natürlich, es ist ja schließlich ein Rennen. Kann ich Bestzeit fahren? Wohl kaum, die Zeit des führenden Cross Profis macht einen soliden Eindruck. Außerordentlich gut verlaufen die ersten Kilometer, vorbei am Golfplatz gepaart mit den ersten Anstiegen. Von Kall bis Schleiden glänzt die Strecke etwas mehr mit Mountainbike-Abschnitten, die mir jedoch nicht wirklich schwerfallen. Durch Schleiden über einen Berg wieder hinab zur Oleftalsperre. Es regnet, aber es ist toll. Den Abschnitt von dieser Talsperre bis kurz hinter Simmerath, kenne ich von Trainingsfahrten mit einem Freund aus den Vorjahren. Hier fühle ich mich wohl, da können auch Regen, Wind und angesumpfte Wiesenanstiege nichts ändern. Über eine Hochebene, hinab nach Einruhr, wieder hoch mit einer Ekelrampe kurz vor Simmerath, herrlich! In Simmerath könnte ich gerade mal alles kaufen, was die Humboldtstraße so zu bieten hat, von der Matratze bis zum Sack Zement. Eine Tanke reicht mir, um alle Vorräte aufzufüllen. Ab zur Kalltalsperre, noch einmal lang hoch, dann müsste es das mit den Höhenmetern auch schon fast gewesen sein. Geht so, es kommen noch viele Gegenwellen bis ich mich im Flachland wiederfinde. Aus Bergen wird Wind und aus Landschaften werden Kraftwerke. Kopf zwischen die Schultern, das nächste Zwischenziel heißt Köln. In der Umgebung des Hambacher Forst treffe ich auf verlassene Dörfer mit Kirchen, in denen Fenster durch Holzplatten ersetzt wurden, sowie Straßen und Gehwege die zugewuchert sind von Gras und Sträuchern. Das alles hinterlässt einen gespenstischen Eindruck bei mir. Im Hambacher Forst selbst fühlt es sich noch bedrückender an, beim Blick auf die Barrikaden, Kanisterlager und Stapel von alten Reifen. Ich halte nur einmal kurz an für ein Bild, dann geht es auch schon weiter. 

Tempo machen in Richtung Köln heißt es weiterhin. Je stärker ich in den Speckgürtel um diese Großstadt eintauche, desto mehr Verkehrsteilnehmer kreuzen bzw. teilen mit mir die Strecke. Mit fortschreitender Dauer des Tages, fällt es mir immer schwerer mich auf die Navigation zu konzentrieren. Ein paar vermasselte Abzweige und schon fluche ich mit mir selbst. Dann bin ich plötzlich am Fußballplatz des 1. FC Köln, schön! Noch etwa fünfzig Kilometer bis nach Euskirchen. Wenn nur nicht der Zeitdruck durch die Bahn wäre. Es gibt jetzt kein Halten mehr, so schnell wie möglich muss ich nach Euskirchen. Mit den letzten Riegeln und Gel versorge ich mich, Getränke sind ab 25km vorm Ziel aufgebraucht. Einen Supermarkt habe ich schon lange nicht mehr gesehen und da kommt auch nix mehr. Topfeben verlaufen die letzten zehn Kilometer, wobei ich noch fast gegen einen Baum fahre, beim Versuch vom Rad aus zu fotografieren. Dann ist es geschafft.

Meinen Zug erreiche ich nicht mehr, also 1h Wartezeit. Auf der Suche nach einer Tanke bremst ein Autofahrer zu spät und schiebt mich fast in einen Kreisverkehr. Fehlt noch eine weitere Episode von „Train Magic“. In Euskirchen steigt ein etwas verwirrter Mann mit zweifelhafter Körperhygiene in den Zug. Nach einer Station fragt er, ob dieser Zug nach Euskirchen fährt. Nein, da kommen wir her! Dann zündet er sich eine Zigarette an, was die Zugbegleiter nicht wirklich zum mitmachen anregt. Eine Station weiter ist er raus und ich habe meine Ruhe. Am Bahnhof in Trier möchte ein Passant mich verhauen und im Anschluss mir mein Fahrrad sonst wohin stecken. Wohin genau will er mir nicht verraten. Dann halt ein Orbit ganz ohne Magie von der DB.

 

Strava Eintrag ORBIT360 NRW

 

Da war doch noch die These meines Freundes Falk: „Diese Form von Rennen wird die MTB-Marathons auf lange Sicht ersetzen!“ Wie ist es nun ausgegangen? Nach drei Orbits kann ich sagen, dass das nicht passieren wird. Die Orbit-Serie lockt keine Massen an Teilnehmern*innen an die Startlinie wie eine Mittelstrecke über 50-60km im Sauerland oder Schwarzwald. Was auch die Gesamtwertung der Orbit360 Serie wiederspiegelt, in der lediglich 268 Frauen und Männer gelistet wurden, nach zwei Monaten in denen Orbits gefahren werden konnten.

Einen Orbit zu fahren mit >200 km fordert die Sportler*innen körperlich deutlich länger, als übliche Marathondistanzen auf dem MTB. Neben der simplen Tretbewegung, die die Orbit-Serie und der Marathon gemein haben, werden Orbiter noch etwas mehr aus ihrer Komfortzone gelockt, denn unter anderem Navigation, zum Teil Fahren in der Dunkelheit und Nahrungsbeschaffung an unbekannten Orten, bringen ein breiteres Anforderungsprofil mit sich, als nur einer markierten Strecke im Wald zu folgen mit regelmäßigen Versorgungspunkten.

Wer lange mit sich selbst klarkommt, der kann auch Orbit. Wir Menschen sind Herdentiere und nicht jeder will 12-15 Stunden allein unterwegs sein für ein Ergebnis. Ich persönlich hätte sehr gern unterwegs Gleichgesinnte getroffen, nur kam es nicht dazu. Beim Marathon gibt es das gemeinsame Rumstehen im Startblock und selbst auf der Strecke ist man nie allein. Selbst nach Rennen besteht für die Beteiligten die Möglichkeit, sich austauschen über das Erlebte (natürlich nur, wenn mal nicht Pandemie ist). Der Marathon ist kürzer und weitaus geselliger, was ihm aufgrund dessen schon das Überleben sichern wird. Orbit360 ist eine Serie, die eine Ergänzung zu den Radsportausdauerdisziplinen darstellt und Menschen anspricht, die neben Ausdauer und Kraft auch ein wenig Abenteuergeist mitbringen.

 

Drei Orbits waren eine tolle Erfahrung für mich, allein schon diese Distanzen erfolgreich zu meistern, haben mich am Ende des Tages begeistert. Meine letztendliche Platzierung spielt nicht die entscheidende Rolle. Erlebnis dann doch vor Ergebnis! In 2021 soll es weitergehen. Sehr wahrscheinlich werde ich wieder teilnehmen, den Wahoo als „Gesprächspartner“ nehme ich auch wieder mit, auch wenn das gute Stück immer nur „Nächste“ von sich gibt.

 

Beste Grüße

Rosenkavalier

 

Bilder

 

*Bear Grylls: ist ein britischer Dokumentarfilmer, Abenteurer, Survival-Ausbilder, Autor und ehemaliger SAS-Soldat. In Deutschland wurde er durch die Serie „Ausgesetzt in der Wildnis“ bekannt.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0