„Ausreden sind die typischen Rechtfertigungen der Ziellosen, damit ihr orientierungsloses Stolpern wie Tanzen aussieht. Ausreden, Absagen, Ausflüchte – solche Entschuldigungen sind eine Absage an die eigene Verantwortung. Sie sollen Verhalten erklären, Fehler rechtfertigen und damit letztlich Schuld delegieren – Hauptsache weg.“ So sagt es zumindest das Internet. Schauen wir doch einmal bei Mtb/ Gravelveranstaltungen vorbei, auf welchem Ausredenlevel sich die Leute hier bewegen. Kofferraumklappe auf und los geht es, willkommen in Daun.
So ein Veranstaltungsparkplatz ist wie eine Schiffsschaukel der Ausreden und lockeren Geschichten. Schwingt sich die Schiffsschaukel nach rechts, steht da der nette DM-Teilnehmer, der vor zwei Wochen beim Rennen in Belgien beim Umkurven einer Pfütze auf die Seite gefallen ist und
heute wahrscheinlich nicht so die Performance liefern wird. Tragisch! So lang noch der Kofferraum mit Fernbedienung geöffnet werden kann, mach ich mir keine Sorgen um ihn. Schon schwingt die Schiffsschaukel nach links, da kommt ein guter alter Bekannter um die Ecke, den ich vor vielen Jahren das letzte Mal gesehen hab, … der Tag hat sich schon gelohnt! Sonst erzählen sich die Leute Geschichten von Handys, die am Rennwochenende in den tosenden Wellen eines Dixi-Klos ihr Ende gefunden haben. Natürlich hat wieder keiner trainiert, die Familie verlangt auch ihre Zeit und der Krampf vom letzten Rennen im Ohrläppchen zieht sich bis heute noch in die Socken. Auch meine beiden Strava-Lieblinge aus der Metropolregion Trier fehlt es anscheinend im wahren Leben an Schlagfertigkeit. Was ist los mit euch, fehlt euch der Bildschirm oder habt ihr nicht mit mir gerechnet? Als letzte Parkplatzanekdote drückte ein PKW dem Minibus den Radträger formschön in die Stoßstange. Ausreden gibt es hier keine, die Herzdame des Geschädigten ist nur erleichtert, dass es sich um das Fahrzeug des Schwiegerpapas handelt.
Ab zum Radfahren, ich bin schon heiß wie Frittenfett. Manche Sachen ändern sich nie. Hochkonzentriert Straßen hoch und runter fahren mit einem kurzen Anzucken, darf einfach nicht fehlen. Aus ängstlicher Vorfreude noch unschuldige Büsche vollurinieren, gehört natürlich auch dazu. Paul Voss, seines Zeichens Gravel-Pro und Favorit auf den Deutschen Meistertitel hat die Plauderlaune im Auto gelassen. Sich irgendwo festquatschen wird er heute wohl nicht als Ausrede hernehmen können.
Was mache ich eigentlich hier? Hin und wieder überkommt mich die fixe Idee mit einem Hauch von Nostalgie mal wieder ein Rennen zu fahren. Ob das was wird, sehen wir später. Die DM fahre ich nicht, die 25€ für die Tageslizenz gönne ich dem BDR einfach nicht. Bleibt nur die 100km Distanz. Hab ich Form. Ja klar hab ich Form, aber so viel Ehrlichkeit ist beim Radsport nicht gefragt, schließlich sind wir fast alle Invaliden und wollen nur mal kurz an die Luft.
Und los. Fünf Minuten nach den Damen für die Deutsche Meisterschaft tummeln sich die Mountainbiker*innen und ich, als einer der wenigen Gravelbiker der 100km Distanz durch die Hecke. Die Beine drehen sehr gut, nur der Antriebsstrang hat heute andere Pläne. Nach 12km hängt die Kette das erstmal lustlos neben dem Kettenblatt. Anhalten, auflegen, weiter. Dieses Prozedere wiederholt sich ca. 7mal, danach höre ich auf zu zählen. Bei einem schlechten Ergebnis kann ich sagen, dass das Material nicht funktioniert hat und der Mechaniker die Verantwortung trägt. Ah doch nicht, der Schrauber bin ja ich.
Mit diesen ständigen Aufholjagden nach jeweils Kette hochhieven, verliert sich die Spur der ambitionierten Laune irgendwo im Eifelwald. Das wohlige Gefühl eines wohltemperierten Schaltvorgangs hat heute auch Pause – die zwei großen Ritzel wollen gar nicht, das Ritzel eins drunter nur unter Zwang und mit reichlich Getöse. So werden die steileren Rampen zum Kraftakt. Im Fußballjargon sagt der Kenner gern: „Flach spielen, hoch gewinnen“. Für mich bleibt heute nur dick treten und dann absteigen. Somit ist jedes ansehnliche Ergebnis außer Reichweite. Hatte ich jemals eine Vorstellung von einem Ergebnis? So ein kleinwenig schon, nur weiß das niemand. Es ist so zur Mitte des Rennens, dass ich Leute treffe, die mir in der Abfahrt immer wieder enteilen oder auch Wesen, die über ihre Armbanduhr Kontakt aufnehmen mit ihrer Frau, um die Wunschliste für die Verpflegung abzustimmen. Ein Teil der anderen armen Würstchen steht am Wegesrand mit den Bemühungen wieder Luft in die Reifen zu bekommen. Speziell im Mittelteil verraucht es bei den Starter*innen auf dem Gravelbike viele mit einem Defekt. Mich erwischt es auch mit einem Vorderradschaden, ein Grund mehr meine Leistung im Ziel zu relativieren.
Neben technischen Defekten ist auch auf die Fresse fallen sehr beliebt im DM-Feld, so habe ich mir sagen lassen. Mit Blick auf das Rennen um die Deutschen Meistertrikots, schaffen es bei den Damen und bei den Herren keine 50% das Ziel zu erreichen. Ob diese hohe Ausfallquote einer Deutschen Meisterschaft angemessen erscheint, können dann wohl nur die Herren aus der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt beantworten. Aus meiner ganz persönlichen Einschätzung heraus, ist diese Strecke für eine Mountainbikerennen sehr simpel, für den Gravel-Sport speziell in einigen Abfahrten doch etwas zu anspruchsvoll. Ein Reglement mit Richtlinien zur Strecke für die neue Disziplin wäre hilfreich. Ergänzend dazu glänzt der Veranstalter in der Rubrik FAQ´s mit folgender Aussage: Es werden nur Mountainbikes zugelassen; Laufraddurchmesser: Gemäß BDR 2010 – 26 Zoll, 27,5 Zoll und 29 Zoll. So führen alle Personen, die an diesem Tag ein Gravelbike mit 28“ durch die Eifel fahren, ein Rennfahrerleben in der Illegalität.
Noch bin ich nicht im Ziel. Neben Ketten runterfallen und Schaltungskirmes verläuft der Tag recht ereignislos. Bis auf Paul Voss, natürlich. Herr Voss fährt auf seiner zweiten Runde nur auf Platz zwei in der DM-Wertung an mir vorbei, reden will er immer noch nicht. Er sieht nicht ganz so glücklich aus mit seinem zweiten Platz. Mein holländischer Begleiter auf dem vollgefederten Rad, schmeißt sich vor lauter Ehrfurcht direkt in den Staub neben Herrn Voss. Die Asphaltrampe im Zielort Daun schaffen weder ich noch die Schaltung. Wenn ich weitermache reißt noch was, nur was? Im Ziel bin ich Siebter der Gravelfahrer über 100km und meine Zeit in der Ergebnisliste ist auch mehr so ne Schätzung. Wem kann ich jetzt meine Ausreden brühwarm auftischen, wie, warum, weshalb der Tag so ist, wie er ist? Bei Radrennen gibt es immer jemanden, … der es nicht hören will, ich muß ihn oder sie nur finden.
Üblicherweise würde an dieser Stelle der Text mit einem Dank und/ oder einer letzten Ausrede enden, doch die eine oder andere Anekdote lässt sich bestimmt noch auftreiben. Starterbeutel, da war ja noch was. Noch am Morgen wurde mir nur die Startnummer in die Hand gedrückt. Für 50€ Meldegebühr, ist das alles? Natürlich nicht. Nach Zieleinlauf kommt der langersehnte Beutel mit viel Luft, Duschbadproben, Altpapier, ein Buff und einer Getränkedose. Die 0,25€ Dosenpfand sind dann wohl das Beste an der Tüte. Alles beim Alten!
Nie hat der Spruch: „Der zweite Platz ist der erste Verlierer!“ mehr Sinn gemacht, als an diesem Tag mit Paul Voss Nr.3. So ganz in sich gekehrt, sitzt Paul Voss auf den Treppenstufen vor einem Wohnhaus. Freude über Platz zwei? Nix da, er wollte einfach mehr. „Paul Voss möchte aus der Eifel abgeholt werden“, bin ich geneigt auf X (ehemals Twitter) zu schreiben. X habe ich ja gar nicht, egal Herr Voss wird die Zeit bis zur Siegerehrung schon seriös verleben.
Die Siegerehrung schaue ich mir auch an. Ein paar einleitende Worte vielleicht. Der Moderator hat da was vorbereitet. Nach
seinen Worten werden alle „… jungen und mittelalten Teilnehmer und Teilnehmerinnen …“ geehrt. Prince Charming bei der Arbeit, der Mann kann was.
Die frischgebackene erste deutsche Gravelmeisterin Carolin Schiff empfängt er nur wenige Minuten vorher ganz überschwänglich im Ziel. Ein geschichtsträchtiger Moment, der erste Graveltitel in der Damenkategorie. So großartig, dass sie sich diesen Erfolg auf ihrem Grabstein verewigen lassen sollte, sagt er. Verbindet der gute Mann den Sieg bei einem Radrennen mit dem Ableben derjenigen Person? Was ist jetzt schlimmer: Empfehlungen für Grabinschriften bei lebenden, erfolgreichen Sportler*innen oder doch das spanische Modell Rubiales mit einem feuchten Kuss auf den Mund bei Erfolg? Schreibt es doch in die Kommentare.
Ich bin dann weg, zu Hause wartet noch ein Grillerchen bei den Nachbarn. Am Ende vom Wochenende frage ich meinen Sohn, ob ich mal ein 1000 km Rennen fahren soll. Er sagt nur „Ja“. Oh, da darf ich dann wohl keine Ausrede haben.
Beste Grüße vom
Rosenkavalier
Bildquelle Artikelvorschau: Tanja Rose
weitere Bilder im Text oder Hintergrund: https://www.sportograf.com/de
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Barbara Trommer (Dienstag, 03 Oktober 2023 11:17)
Des wahren Pudel 's Kern �